Der oder die im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens beauftragte psychologische Sachverständige versteht sich traditionellerweise als Helfer*in des Gerichts. Er oder sie hat die Aufgabe, das Gericht bei der Formulierung einer sorge- oder umgangsrechtlichen Entscheidung zu unterstützen und die gerichtlichen Fragestellungen zu den Eltern zu beantworten.
Um eigene Empfehlungen zu formulieren, die als Grundlage der gerichtlichen Entscheidung dienen, nimmt er bzw. sie Kontakt mit der betroffenen Familie auf, mit der er bzw. sie Gesprächs- und Diagnostikterminen vereinbart. Es wird vorausgesetzt, dass der oder die Sachverständige unparteiisch, unbefangen und neutral vorgeht und eine fundierte Fachkenntnis (Rechtspsychologie, Entwicklungspsychologie, Scheidungs- und Bindungsforschung, Klinische Psychologie) vorweisen kann.
Mittlerweile haben sich die Anforderungen an das sachverständige Vorgehen verändert. Es geht nicht nur darum, einen Ist-Zustand festzustellen, sondern darum, zur Befriedung der nach der Trennung meistens sehr gespannten und für die Kinder extrem belastenden Familiensituation beizutragen.
Dies setzt voraus, dass sich der oder die Sachverständige mit den Rahmenbedingungen, Ressourcen, Wünschen und Zielen von Eltern und Kindern auseinandersetzt, um ein umfassendes Bild der betroffenen Familie zu erfassen.
Soweit gelegentlich die Forderung erhoben wird, dass der oder die Sachverständige seine bzw. ihre psychologische Tätigkeit völlig in den Dienst einer konsensfördernden Intervention zu stellen hat und deswegen auf eine psychologische Diagnostik verzichten kann, muss bedacht werden, dass gerade die psychologische Diagnostik unverzichtbar ist, da sonst fachpsychologische, rechtliche und ethische Grenzen unzulässig überschritten werden könnten.
Die Ergebnisse und Befunde der psychologischen Diagnostik (z.B. familiäre Beziehungskonstellation, kindeswohlorientierte Risiko- und Schutzfaktoren, perspektivische Herausforderungen an die Eltern) werden bei Bedarf, entsprechend dem richterlichen Auftrag, den Eltern dargestellt. Gemeinsam wird versucht, durch die erfolgte Perspektiverweiterung, insbesondere mit dem Blick auf die immer auch vorhandenen Ressourcen des familiären Systems, einen Weg zu finden, der dem Kind/ den Kindern trotz Trennung der Eltern eine dem Kindeswohl dienliche weitere Entwicklung ermöglicht.
Das Sachverständigengutachten hat somit zum einen die Aufgabe, den Familienrichter*innen bei deren Entscheidungsfindung zu helfen, zum anderen, die Betroffenen, unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls, so weit wie möglich, mit psychologischer Hilfe bei der Erarbeitung einer eigenverantwortlich getragenen Lösung zu unterstützen.
Diese beiden Zielvorgaben schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern führen bestenfalls zu einer integrierten Lösung an der die übrigen Verfahrensbeteiligten in Gerichtsverfahren, zB Anwälte, Verfahrensbeistände oder MItarbeiter*innen des Jugendamtes unterstützend mitwirken können.